Schon zu Beginn des Debattiertages waren alle 20 Gymnasiastinnen und Gymnasiasten aus dem Kirchenfeld gegen die Initiative mit dem vollen Titel «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot – Ja zu Forschungswegen mit Impulsen für Sicherheit und Fortschritt». Alle 20 waren aber eigentlich gegen Tierversuche. Nach dem Einlesen am Morgen, nach etlichen Reden und der Schlussdebatte blieben die Meinungen gleich, aber sie waren differenzierter. Wir waren bereit für den Nachmittag mit den politisch hochkarätigen Gästen.
Julia Küng von den Jungen Grünen und Lena Skoko von den Jungfreisinnigen vertreten dieselben Positionen wie die Schülerinnen und Schüler. Die Pro-Seite hatten wir ausgeladen: Susi Kreis vom Initiativkomitee und Regina Möckli konnten sich beide nicht den Covid-Vorgaben, die für alle Berner Schulen gelten, fügen. Die Gespräche am Nachmittag waren also weniger Debatten als weiterführende Überlegungen zum Umgang von Menschen mit Tieren, angeregt durch die Initiative.
Am Schluss des Tages waren weiterhin alle gegen die Initiative. Das absolute Verbot und die Rhetorik des Initiativkomitees befremdeten. Ausserdem gelten in der Schweiz schon Beobachtungsstudien mit Tieren und Menschen als Versuche, das war für niemanden ein Problem. Aber die Versuche des Schwergrades 3 sollten ersetzt werden. Sowieso klar war, dass Tiere auch unter Laborbedingungen tiergerecht und möglichst stressfrei gehalten werden sollen. Die Forderung nach finanzieller Unterstützung von alternativen Forschungsmethoden übernahmen wir von der Initiative.
Wir schweiften ab: Dürfen Tiere als Haustiere gehalten werden, auch wenn sie einwandfrei betreut werden? Was ist mit Tieren für die Fleischproduktion? Wir überlegten, wie wir in dreissig Jahren über unseren Umgang mit Tieren im Jahr 2022 urteilen werden. Möglicherweise sehr ablehnend.
Das Ziel des Debattiertages war erreicht. Wir haben eine Meinung und begründen sie. Wir kennen die Argumente der anderen Seite und teilen sie sogar – teilweise. Wir halten es für möglich, dass wir unsere Position ändern, wenn z. B. die Forschungsmethoden weiterentwickelt sind. Die sofortige Forderung nach einem Verbot lehnen wir ab, ebenso die überspitzte Rhetorik gewisser Gegnerinnen und Gegner. Die Richtung, in die sich medizinische Forschung entwickeln soll und wird, sehen wir wie die Initiantinnen und Initianten, weg von den Tierversuchen.
Das Gespräch war gut. Ohne die andere Seite halt wenig kontrovers.
1. Februar 2022 / «schweiz debattiert», Ursula Naef